Kinder und Jugendliche mit Long Covid leiden oft an Erschöpfung. Symbolbild.

Langzeitfolgen von Corona

Modellprojekt: Bessere Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Long Covid

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Ralf Caspary
Ralf Caspary
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Dr. Roland Elling
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Lena Schmidt

Auch Kinder und Jugendliche sind von Long Covid betroffen. Um das besser erforschen und behandeln zu können, startet im Oktober ein Modellprojekt an den vier Unikliniken in Baden-Württemberg.

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Sogar nach einer milden Corona-Infektion können Kinder und Jugendliche an Long Covid erkranken. Im schlimmsten Fall entwickeln sie das Chronische Fatigue Syndrom (ME/CFS).

Um die Versorgung der kleinen Patientinnen und Patienten zu verbessern, startet im Oktober ein Modellprojekt der vier landeseigenen Universitätskinderkliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm. Im Rahmen des Projekts soll gleichzeitig ein neues, Baden-Württemberg-weites Patientenregister aufgebaut werden, das Daten für die weitere Erforschung des Krankheitsbildes sammelt.

Das Modellprojekt nennt sich "MOlekularimmunologische Charakterisierung & multimodal-multizentrische intersektorale VErsorgung von Long COVID im Kindes- und Jugendalter in Baden-Württemberg" - kurz MOVE-COVID-BW. Es wird vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln bis Ende 2024 gefördert.

Ralf Caspary (SWR2 Impuls) im Gespräch mit Dr. Roland Elling, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Freiburg.

Weniger als ein Prozent erkranken nach Coronainfektion an Long Covid

Ralf Caspary: Weiß man, wie viele Kinder und Jugendliche in Deutschland betroffen sind von Long Covid?

Dr. Roland Elling: Das ist die Frage, die wir verständlicherweise am allerhäufigsten kriegen und die aber gleichzeitig am schwierigsten zu beantworten ist. Insgesamt ist es nach wie vor so, dass es sich glücklicherweise um ein eher seltenes Krankheitsbild handelt. Ich würde sagen, dass weniger als ein Prozent aller Kinder und Jugendlichen mit dieser Infektion später ein Long-Covid-Syndrom bekommen.

Wie viele da im Moment genau betroffen sind, ist schwierig zu sagen, weil es auch sehr von den Definitionskriterien abhängt, die sehr unterschiedlich sind in verschiedenen Studien.

Noch kein Biomarker für Long Covid gefunden

Ralf Caspary: Das heißt, man kann Long Covid, wenn ich Sie richtig verstanden habe, noch immer nicht hundertprozentig diagnostizieren?

Dr. Roland Elling: Es gibt nach wie vor keinen Labor-Marker oder anderen Test, mit dem man das beweisen kann. Es gibt klinische Kriterien, also eine Zusammenfassung verschiedener Symptome und Beschwerden und klinischer Kennzeichen, die wir zusammennehmen, um die Diagnose zu stellen. Es ist aber weiterhin eine Ausschlussdiagnose, die wir nicht aktiv "beweisen" können.

Verschiedene Krankheitsbilder möglich

Ich glaube auch, um das vielleicht anzuschließen, dass der Begriff des "Long Covid-Syndroms" auch nicht ganz so günstig ist. Ich glaube, dass das eine insgesamt heterogene Mischung verschiedener Krankheitsbilder ist mit auch unterschiedlicher Herkunft, sozusagen unterschiedlicher Biologie.

Und deswegen, glaube ich, kann auch nicht das Ziel sein, dass man sagen kann, man kann jetzt DIE Ursache für DAS Long Covid finden und dann gibt es das Medikament, das allen hilft. Sondern ich glaube, man muss wirklich versuchen, die einzelnen Krankheitsbilder und Symptome besser zu verstehen. Und nur dann können wir hoffentlich eine zielgerichtete Therapie anbieten.

Das Bild zeigt ein Wegweiser-Schild an der Kinderklinik in Freiburg.
Die Uni-Kinderkliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm starten im Oktober 2023 ein gemeinsames Modellprojekt.

Ralf Caspary: Kann ich denn trotzdem fragen, welche Symptome bei der Bevölkerungsgruppe Kinder und Jugendliche oft im Vordergrund stehen?

Dr. Roland Elling: Wir haben schon länger eine relativ große Long Covid-Ambulanz und sehen dadurch viele Beschwerden, mit denen die Jugendlichen zu uns kommen. Kleinkinder und Grundschulkinder, sind zum Glück viel seltener betroffen. Es ist zum Glück mit absoluter Mehrheit eine Erkrankung der zweiten Lebensdekade.

Long Covid-Symptome: "Crashs" und Fatigue

Die meisten Patientinnen und Patienten haben im weitesten Sinne Beschwerden, die mit dem zentralen Nervensystem und der Funktion des Gehirns zusammenhängen. Eines der sehr häufigen Symptome, das sie schildern, ist eine Fatigue, also eine ganz fürchterlich anhaltende Müdigkeit, die die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit beeinflusst. Das ist ein sehr häufiges Symptom.

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Ein weiteres Kennzeichen ist eine Symptomatik, wo die Patientinnen und Patienten nach einer Aktivität – geistig oder körperlich –in der Folge dann einen sogenannten „Crash“ erleben. Das heißt, dass sie sich, wenn sie sozusagen versuchen, wieder mehr am Alltagsleben teilzunehmen, wenn sie versuchen, in die Schule zu gehen oder auch nur ein bisschen weiter zu laufen als sonst, am nächsten Tag sozusagen „crashen“. Also dass sie dann ganz übel nach hinten geworfen werden und es ihnen noch viel schlechter geht, als es ihnen vorher ging.

Spezielle Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Long Covid

Ralf Caspary: Ja, das sind wirklich Symptome, die auch gerade zum Beispiel in Bezug auf Schule wirklich schlecht sind für die Kinder und Jugendlichen.

Dr. Roland Elling: Unbedingt. Und das ist auch für uns einer der Kernaufträge gewesen, wieso wir uns mit dem Land zusammengetan haben und gesagt haben: Wir brauchen da spezielle Programme für Kinder und Jugendliche, weil eben – wie so oft – Jugendliche und Kinder nicht das Gleiche sind wie Erwachsene und sie spezielle Bedürfnisse haben, gerade die Zusammenarbeit mit der Schule.

Wir haben doch einige Patientinnen und Patienten, die sehr lange nicht mehr schulfähig sind, also überhaupt nicht mehr in der die Lage sind, an der Schule teilzunehmen. Und das ist natürlich eine dramatische Einschränkung für die Kinder und Jugendlichen.

Das Bild zeigt einen erschöpften, müden Jungen in der Schule, der gähnt. Symbolbild.
Kinder und Jugendliche mit Long Covid, die unter starker Erschöpfung leiden, können nicht mehr zur Schule gehen.

Ralf Caspary: Das wäre dann ein Baustein dieses Modellprojekts, dass die Betroffenen bei ihnen beschult werden. Oder wie habe ich mir das vorzustellen?

Dr. Roland Elling: Das können wir leider nicht leisten. Meistens sind viele von ihnen wirklich so schwer getroffen, dass die das gar nicht können.

Der erste Schritt ist erstmal, den Patienten zu vermitteln, dass diese Erkrankung, diese Symptome echt sind. Es geht darum, mögliche Stigmatisierungen abzubauen und auch in den Dialog zu gehen mit Angehörigen, mit Eltern, mit Schulen, um für ein besseres Verständnis für diese Erkrankung zu werben und dann gemeinsam Wege zu entwickeln, wie sie langsam wieder ins Leben zurückfinden können.

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Mehr Therapiemöglichkeiten und Forschung

Ralf Caspary: Das heißt, sie entwickeln Therapiewege.

Dr. Roland Elling: Ein Ziel des Move Covid-Projekts ist der große Versorgungsansatz, dass wir wirklich versuchen, Baden-Württemberg-weit vor allem sehr schwer betroffenen Jugendlichen an den vier Zentren eine Möglichkeit zu bieten, dort angebunden zu werden und auch regelmäßig in Kontakt zu bleiben.

Das ist auch nicht immer so ein typischer, klassischer Arzt-Patientenkontakt, wo man einen Termin macht, im Wartezimmer sitzt und dann wieder fährt. Es gibt viele, die sogar bettlägerig sind, die das gar nicht schaffen, in die Kliniken und Ambulanzen zu kommen. Das heißt, wir arbeiten auch sehr viel mit Telefon- und auch Videosprechstunden, um einfach nahe an diesen Patienten dranzubleiben und denen zu helfen.

Das ist der eine Teil. Also wirklich die Versorgung zu verbessern, auch Fortbildungen zu machen für niedergelassene Kolleginnen und Kollegen, wie man da weiterhelfen kann, die zu betreuen.

Und in einem anderen zweiten, mehr grundlagenwissenschaftlichen-orientierteren Teil, versuchen wir über den Aufbau eines Patientenregisters es auch zu schaffen, Blutproben und andere Gewebe und andere Proben von diesen Patienten zu sammeln, um mehr Hinweise zu erhalten, um besser zu verstehen, wie diese Erkrankung funktioniert und vielleicht so etwas wie Biomarker finden zu können.

Gefahr von Fehldiagnosen

Ralf Caspary: Das heißt, an diesen Zentren ist eine sehr große Expertise. Und wenn das läuft und immer weiterläuft und viele Daten gesammelt werden, gibt es auch eine bessere Behandlung und Therapie der Betroffenen?

Dr. Roland Elling: Das ist auf jeden Fall unser großes Ziel und unsere große Hoffnung. Und es ist aber unbedingt so, dass wir uns alle zusammentun müssen. Das betrifft auch nicht nur Ärztinnen und Ärzte. Eine gleichwichtige Rolle spielen zum Beispiel Psychologinnen und Psychologen, die da mitarbeiten. Mit denen wir auch Fallkonferenzen machen, uns austauschen über Fälle.

Man muss wirklich immer – und das haben andere schon zeigen können – bei diesen Patienten auch immer wahnsinnig aufpassen, dass man nicht andere Diagnosen übersieht, die den Symptomen zugrunde liegen.

Das Bild zeigt eine Aufnahme aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie Uchtspringe. Eine Therapeutin macht mit Kindern eine Maltherapie.
Die Kinderärztinnen und -ärzte arbeiten eng mit anderen Fachrichtungen zusammen, um Fehldiagnosen auszuschließen. Dazu beraten sie sich beispielsweise mit Psychologinnen und Psychologen.

Langer Weg zur Genesung

Ralf Caspary: Gibt es gute Heilungschancen?

Dr. Roland Elling: Insgesamt würde ich sagen, es ist eine Erkrankung, die leider sehr langwierig verlaufen kann, die aber insgesamt trotzdem eine Prognose hat, dass sie sich bessert, weil gerade das Gehirn von Jugendlichen sehr plastisch ist und häufig weniger körperliche Begleiterkrankungen bestehen.

Insofern sieht man auch bei vielen Patienten, die schwer betroffen waren, eine deutliche Besserung.

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