Vom Feld in die Stadt: Alternativen zur klassischen Landwirtschaft
Ein dreistöckiger Kuhstall, mitten im Hafen von Rotterdam? Was geradezu utopisch klingt, liegt zunehmend im Trend: Immer mehr Großstädte setzen auf die eigene Produktion von Lebensmitteln. Woher kommt diese Entwicklung?
Intensive Lebensmittelproduktion ist klimaschädlich
Die Meeresspiegel steigen, in den Niederlanden fehlt es zunehmend an Platz – auf längere Sicht muss die Landwirtschaft kreativ werden. So sieht es die Betreiberin des schwimmenden Kuhstalls, Minke van Wingerden.
Doch nicht nur in Rotterdam, die Folgen des Klimawandels sind auch andernorts deutlich zu spüren. Und daran trägt der Agrar- und Ernährungssektor eine Mitschuld: Anbau, Verpackung, Transport, Kühlung – laut einer Studie der United Nations entstehen ein Drittel aller Treibhausgase in der Lebensmittelproduktion. Zugleich führen die intensive Bewirtschaftung sowie Dürren und Überschwemmungen vielerorts zum Verlust fruchtbarer Böden.
Verkürzte Lieferketten, weniger Emissionen: Kurze Transportwege sind gut fürs Klima
Damit die urbane Bevölkerung die Ressourcen der Erde nicht weiter aufbraucht, hat die promovierte Ökologin Ina Säumel von der Berliner Humboldt-Universität einen Vorschlag: Wir holen die Nahrungsmittelproduktion zurück in die Stadt. Wegfallende Transportwege sparen nicht nur Treibhaus-Emissionen ein, auch lassen sich Herkunft und Inhaltsstoffe unserer Nahrungsmittel so besser überprüfen.
Die eigene Ernte: Urban Gardening schafft ein Gefühl von Sicherheit
Neben dem zunehmenden Klimabewusstsein verspüren immer mehr Menschen in der Stadt, den Wunsch nach Selbstversorgung. Daran forscht Martina Artmann, Leiterin der Forschungsgruppe Urbane Mensch-Natur Resonanz am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Unser global verstricktes Ernährungssystem ist ziemlich verletzlich. Das hat uns insbesondere die Corona-Krise gezeigt, in der es häufiger zu Lieferengpässen kam. Leere Regale möchte keiner mehr erleben, daher das wachsende Bedürfnis nach Unabhängigkeit, erklärt Martina Artmann.
Auch eine Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik aus dem Jahr 2021 zeigt: Die Vision einer Stadt, die sich selbst mit Lebensmitteln versorgt, ist bei vielen Menschen beliebt. Doch wie realistisch ist sie?
Wenig Platz, hohe Investitionen: effiziente Landwirtschaft in der Stadt kaum möglich
Der Agrarökonom Alexander Stein arbeitet in Brüssel für die Europäische Kommission. Er meint: Urbane Landwirtschaft hat Grenzen. Das liegt zum einen am Platzmangel. Produkte, die viel Fläche brauchen und schwer sind, zum Beispiel Getreide, Zuckerrüben oder Mais, lassen sich in einer Großstadt nur schwer anpflanzen. Und auch tierfreundliche Weidehaltung, denkt Alexander Stein weiter, lässt sich zwischen Autolärm und Hochhausschluchten kaum realisieren.
Globale Versorgungssysteme decken lokale Engpässe ab
Um effizient Landwirtschaft zu betreiben, müssten Städte erstmal sehr viel Geld in die Hand nehmen. Gebäudeintegrierte Anbaumethoden setzen High-Tech-Anlagen voraus und die sind sehr aufwändig und teuer.
Ob sich das lohnt, bleibt die Frage, meint der Agrarökonom Alexander Stein: Selbst, wenn man die Selbstversorgung einer Stadt auf die umliegende Region ausweiten würde, ließe sich eine vollkommene Versorgungssicherheit nicht garantieren. Schließlich hängen auch regionale Landwirtschaftsbetriebe von Ernte- und Wetterschwankungen ab, weshalb gerade die internationale Kooperation für Ernährungssicherheit sorge, erklärt Stein.
Nähe zur Natur: Urbane Agrarwirtschaft trägt zu mehr Nachhaltigkeit bei
Vermutlich wird die Selbstversorger-Stadt eine Traumvorstellung bleiben. Dennoch kann sie einen großen Beitrag für die Zukunft leisten, betont Martina Artmann vom Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Einpflanzen, gießen, sich die Hände dreckig machen – wer in der Stadt gärtnert, hat nicht nur ein engeres Verhältnis zur Natur, sondern auch einen allgemein nachhaltigeren Lebensstil.
Das bekräftigt auch Minke van Wingerden: