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Klimafreundliche Kühe? – Wie Irland die Milchviehhaltung retten will

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AUTOR/IN
Alexander Budde
ONLINEFASSUNG
Justina Bretzel
Candy Sauer

Irlands Kühe produzieren Milch für den Weltmarkt. Aber auch viel Treibhausgas. Weil das EU-Land sonst seine Klimaziele verfehlt, soll der Viehbestand sinken. Bauern protestieren. Taugt die Weidehaltung noch als Vorbild für den ökologischen Umbau der Landwirtschaft?

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Irland ist Top-Exporteur für Weidemilch – hier leben mehr Kühe als Menschen

In Irland fressen Milchkühe noch Gras. Dank des irischen Vollweidesystems dürfen die Tiere fast ganzjährig draußen auf der Weide stehen. Dort haben sie nicht nur mehr Auslauf als ihre Artgenossen im Stall, sondern erzeugen im Vergleich auch weniger Treibhausgas.

Naturnah und tiergerecht produzierte Weidemilch ist auf dem Weltmarkt gefragt. Darum setzten Politik und Agrarlobby lange auf Wachstum und Export. In den letzten 7 Jahren steigerte Irland die produzierte Milchmenge um 50 Prozent auf über 7 Milliarden Liter pro Jahr. 80 Prozent davon werden exportiert – als Milchpulver, Butter oder Käse.

Frisch von der Weide? Irland exportiert einen Großteil seiner Milch nach Europa. Vorne mit dabei: die Ornua Co-operative Ltd., eine Genossenschaft der irischen Bauern und Molkereien, die hinter der weltberühmten Buttermarke Kerrygold steht.
Frisch von der Weide? Irland exportiert einen Großteil seiner Milch nach Europa. Vorne mit dabei: die Ornua Co-operative Ltd., eine Genossenschaft der irischen Bauern und Molkereien, die hinter der weltberühmten Buttermarke Kerrygold steht.

Mittlerweile leben mehr als 7 Millionen Rinder auf der grünen Insel, davon 1,6 Millionen Milchkühe. Zum Vergleich: Irlands Bevölkerung zählt 5 Millionen Menschen.

Zu viel Nitrat im Wasser, zu viel Methan in der Luft: strengere Klimagesetze verabschiedet

Diese Expansion auf dem Milchviehmarkt rächt sich nun: Das EU-Land droht seine Verpflichtungen zum Klima- und Umweltschutz nicht zu erfüllen. Denn Irlands Rinder produzieren viel Methan und weit mehr Gülle als die Nitrat-Richtlinie der EU erlaubt. Außerdem ist der irische Stickstoffeintrag durch Kunstdünger zu hoch.

Inzwischen macht Dublin Druck in Sachen Energie- und Verkehrswende. Die rot-grüne Regierung sieht vor, dass bis 2030 25 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen im Agrarsektor entstehen sollen. Das Land möchte nämlich bis 2050 klimaneutral werden.

Überschwemmungen und Dürre – Agrarsektor leidet unter Klimakrise

Mehr Klimaschutz in der Viehwirtschaft fordert auch der Klimaforscher Peter Thorne von der irischen Maynooth University. Die Branche leidet schon heute unter dem Klimawandel, so Thorne. Bereits im Jahr 2018 verhungerten in Irland Schafe und Kühe auf den Weiden. Einer wochenlangen Dürre im Sommer war ein anderes Wetterextrem vorausgegangen: In einigen Tälern stand das Wasser im Frühjahr so hoch, dass nur noch die Weidezäune herausragten.

Was wir beim Klima beobachten, ist, dass es immer mehr Extreme gibt. Wir erwarten, dass Hitzewellen und schwere Regenfälle häufiger und heftiger werden.

Radikaler Schritt: Viehbestände senken – Milchbauern protestieren

Um das 25 Prozent-Einsparziel zu erreichen, wurde in Teilen der Regierung zuletzt noch ein anderer, radikaler Schritt erwogen: Der Abbau des Viehbestands um 200.000 Rinder zum Wohle des Klimas.

Wolken über der Kuhweide? Weidehaltung ist zwar deutlich klimafreundlicher als die Massenhaltung im Stall, trotzdem entsteht auch hier sehr viel Treibhausgas. Insbesondere das von den Kühen ausgestoßene Methan stellt eine große Belastung fürs Klima dar. Nun stellt sich die Frage: Müssen die Viehbestände verkleinert werden?
Weidehaltung ist zwar deutlich klimafreundlicher als die Massenhaltung im Stall, trotzdem entsteht auch hier sehr viel Treibhausgas. Insbesondere das von den Kühen ausgestoßene Methan stellt eine große Belastung fürs Klima dar. Nun stellt sich die Frage: Müssen die Viehbestände verkleinert werden?

Was viele vergessen: An solchen Zahlenspielen hängt die Existenz vieler Landwirte. So wie bei John McNamara. Zusammen mit seiner Frau Olivia bewirtschaftet er 115 Hektar Grünland. In ihrem Milchbetrieb werden 250 Kühe gemolken.

John McNamara hat sein Weideland mit mobilen Elektrozäunen in einzelne Parzellen aufgeteilt. In jeder misst der Farmer den Grasaufwuchs. Die Infos, vom Nahrungsbedarf seiner Kühe bis zur Menge des weidereifen Grases, sind auf einer Karte verzeichnet, die am Eingang zum Melkstand hängt. Die Tiere sollen genau dann auf eine Koppel kommen, wenn das Gras dort die perfekte Wuchshöhe hat.
John McNamara hat sein Weideland mit mobilen Elektrozäunen in einzelne Parzellen aufgeteilt. In jeder misst der Farmer den Grasaufwuchs. Die Infos, vom Nahrungsbedarf seiner Kühe bis zur Menge des weidereifen Grases, sind auf einer Karte verzeichnet, die am Eingang zum Melkstand hängt. Die Tiere sollen genau dann auf eine Koppel kommen, wenn das Gras dort die perfekte Wuchshöhe hat.

Es ist frustrierend, wenn solche Pläne aus heiterem Himmel auftauchen. Und meines Erachtens ist der Schaden, den sie anrichten würden, nicht zu Ende gedacht. Schließlich haben viele Landwirte in den Jahren seit dem Wegfall der Quoten sehr viel Geld in ihre Höfe gesteckt. Und dass so jemandem, der hoch verschuldet ist, gesagt wird, dass er seinen Kuhbestand reduzieren muss, nachdem ihm doch gerade erst geraten wurde, seinen Betrieb zu vergrößern, das ist sicherlich nicht der richtige Weg!

Für den Klimaexperten Peter Thorne ist dieser Plan, die Tierbestände zu reduzieren, bislang nicht viel mehr als eine erste Idee der Fachleute im Agrarministerium – ob und wie er konkret umgesetzt werden soll, sei noch völlig offen.

Klee fürs Klima: Kühe grasen im Dienst der Wissenschaft

Konkret hingegen ist die Forschung, die seit 1959 im agrarwissenschaftlichen Innovationszentrum Teagasc Moorepark im irischen Bezirk Cork betrieben wird. Hier, auf der institutsinternen Versuchsfarm, steht derzeit vor allem das Futter der Tiere im Fokus.

Auf der Versuchsfarm im Forschungszentrum Teagasc Moorepark grasen Milchkühe im Dienst der Wissenschaft. Sensoren an Kuh-Halsbändern messen die Körpertemperatur der Tiere, die Zahl der Kaubewegungen beim Grasen und die Ruhephasen. Ein vollautomatisches System aus Transpondern, Schleusen und Toren sortiert bei Bedarf kranke oder trächtige Tiere aus der Herde.
Auf der Versuchsfarm im Forschungszentrum Teagasc Moorepark grasen Milchkühe im Dienst der Wissenschaft. Sensoren an Kuh-Halsbändern messen die Körpertemperatur der Tiere, die Zahl der Kaubewegungen beim Grasen und die Ruhephasen. Ein vollautomatisches System aus Transpondern, Schleusen und Toren sortiert bei Bedarf kranke oder trächtige Tiere aus der Herde.

Aus der Perspektive der Wissenschaft geht es jetzt darum, Strategien der Anpassung an den Klimawandel zu entwickeln, betont der Institutsleiter Michael O'Donovan. Und der gibt sich zuversichtlich: Irlands Nitrat-Problem ist lösbar – zum Beispiel mithilfe von Kleegras.

Klee gehört zu den sogenannten Leguminosen. Diese binden den Stickstoff aus der Luft und können so den klimaschädlichen Kunstdünger ersetzen.

Weißklee, der auch in Deutschland vorkommt,  zählt zu den Leguminosen. Das sind Pflanzenarten, die den in der Luft enthaltenen Stickstoff binden, um ihn für ihren eigenen Stoffwechsel zu nutzen. Weißklee bindet etwa 100 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr, erklärt der irische Agrarwissenschaftler Michael O'Donovan.
Weißklee, der auch in Deutschland vorkommt, zählt zu den Leguminosen. Das sind Pflanzenarten, die den in der Luft enthaltenen Stickstoff binden, um ihn für ihren eigenen Stoffwechsel zu nutzen. Weißklee bindet etwa 100 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr, erklärt der irische Agrarwissenschaftler Michael O'Donovan.

Wir haben 15 Jahre lang geforscht, um herauszufinden, was die beste Methode ist, die beste Weideplanung, die genau so viel Klee in die Grasfläche einbringt, damit wir unterm Strich die optimale Menge an gebundenem Stickstoff erhalten.

Forschung und Tierwohl: Irlands Weidehaltung als Viehwirtschaft der Zukunft?

Erkenntnisse aus der Forschung können dazu beitragen, dass Klimaschutz und Milchviehwirtschaft gemeinsam funktionieren. Hier können wir viel von Irland lernen. Denn Fakt ist: Irlands Vollweidesystem ist weniger klimaschädlich als die Massentierhaltung in Deutschland. Und ein Leben auf der Weide ist für die Tiere sehr viel artgerechter als im engen Stall.

Doch moderne Weidesysteme allein reichen nicht, betonen Klimaexperten wie Peter Thorne. Zusätzlich brauche es ein Umdenken der Menschen. Nur wenn der Konsum tierischer Produkte zurückgefahren wird, sei eine nachhaltige Viehwirtschaft überhaupt möglich.

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In Irland werden Algen erforscht, geerntet und verarbeitet. Restaurants, Wissenschaft und Startups entdeckten die Organismen als Alleskönner.

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