Buchkritik

Fernanda Trías – Rosa Schleim

Stand
AUTOR/IN
Victoria Eglau

Eine Stadt wird von einer verheerenden Umweltkatastrophe heimgesucht. Sie ähnelt Montevideo. Ein stinkender, heißer Wind weht durch die Straßen, eine tödliche Seuche breitet sich aus. Und inmitten dieser verstörenden Dystopie entgleiten einer Frau nach und nach alle sozialen Bindungen. In ihrem neuen Roman „Rosa Schleim“ malt die Uruguayerin Fernanda Trías sich aus, wohin der Klimawandel führen könnte.

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Niemand weiß, woher er kommt – der Rote Wind. Wenn er heiß und übelriechend durch die namenlose Hafenmetropole weht, in der Fernanda Trías ihren Roman angesiedelt hat, wird das Atmen lebensgefährlich. Eine Seuche droht, und wer an ihr erkrankt, dem fällt die Haut in Fetzen vom Fleisch. Das zentrale Krankenhaus ist voller todgeweihter Menschen, Fische und Vögel sind gestorben, und immer mehr Bewohner und Bewohnerinnen fliehen vor der mysteriösen Katastrophe ins Landesinnere.

Irgendetwas schreckte sie wie aus dem Nichts auf: ein Verwandter, der auf der Isolierstation der Klinik landete, der Sirenenalarm, der sie auf der Straße überraschte und zwang, die Beine in die Hand zu nehmen; als dränge ihnen auf einmal ins Bewusstsein, dass der Rote Wind nicht nur eine abstrakte Idee, eine bloße Drohung war, sondern ganz real. Denn solange man es nicht selbst erlebt hatte, konnte man sich den ekelerregenden Gestank, die plötzliche Hitze, das wie ein Krake anschwellende Wasser des Flusses und den von den Algen gelblich-braun gefärbten Schaum nicht vorstellen.“

Heißer roter Wind – eine Stadt wird unbewohnbar

Es ist ein beängstigendes Szenario, das Fernanda Trías in ihrem Roman Rosa Schleim entwirft: Eine Stadt, die nach und nach unbewohnbar wird, nachdem eine Umwelt-Apokalypse über sie hereingebrochen ist. Bewohner und Experten rätseln über den Ursprung. Einiges in dieser Dystopie kommt uns sehr bekannt vor: Quarantäne-Stationen, Menschen mit Mund-Nasen-Masken, Isolation und Einsamkeit und leergefegte Straßen. Geschrieben hat Fernanda Trías ihren Roman allerdings bereits 2019:

„Leser und Leserinnen und auch mein Verleger sagten mir, dass sie in meinem Buch viele Übereinstimmungen mit der Pandemie sahen. Aber ich selbst habe sie erst bemerkt, nachdem Corona begonnen hatte und ich meinen Text noch einmal las. Ja, die Realität hatte die Fiktion eingeholt. Eigentlich aber wollte ich mit meinem Roman schildern, welche Folgen der Klimawandel haben könnte und wie diese unser Leben möglicherweise verändern werden. Ich finde, es ist an der Zeit, dass sich die Literatur dieses drängenden Themas annimmt.“

... sagt die Autorin bei unserem Treffen in Berlin. Fernanda Trías erzählt ihren Roman aus der Perspektive einer alleinstehenden Frau, die die Vierzig überschritten hat. In der von der Katastrophe heimgesuchten Metropole, die an die Heimatstadt der Autorin, Uruguays Hauptstadt Montevideo, erinnert, wird das Leben der Frau immer einsamer und prekärer.

Wenn der Rote Wind bläst, verbarrikadiert sie sich wie alle Bewohner hinter verschlossenen Fenstern. Nur, wenn der Wind nachlässt und Nebel aufzieht, verlässt die Frau ihre Wohnung. Dann besucht sie ihre alte Mutter, zu der sie ein angespanntes Verhältnis hat, und ihren Ex-Mann, der sich mit der Seuche infiziert hat und in der Klinik auf einer Station für chronisch Kranke liegt. Von der komplexen Beziehung zu beiden – der Mutter und dem langjährigen Partner – erfahren wir durch Rückblenden.

Der kleine Mauro leidet unter Fressattacken

Außerdem kümmert sich die Protagonistin um ein Kind namens Mauro. Der Junge leidet an einer genetischen Erkrankung, dem Prader-Willi-Syndrom, das mit ständigem und unkontrollierbarem Hunger einhergeht. Eine seiner Fress-Attacken beschreibt Trías so:

„Ich rief nach Mauro, aber er reagierte nicht. (…) Ich warf den Mantel ab und rannte ins Bad. Was ich dort vorfand, hatte etwas von einer Feldschlacht. Mauro lag nackt in der Badewanne, das Wasser bedeckte ihm kaum die Beine, und um ihn herum ein Haufen leerer Essensgläser, manche ganz leer, andere voller Wasser. Überall lagen Glassplitter, Deckel von Gläsern, durchnässte Etiketten und Essensreste auf dem Boden verstreut. Im Badewannenwasser schwammen Karottenstücke sowie angenagte Gürkchen. (…)“

Die Romanheldin betreut den kranken Jungen gegen Geld, aber zwischen beiden entwickelt sich zaghaft so etwas wie ein Mutter-Kind-Verhältnis. Der stark übergewichtige Mauro, für den sie die Verantwortung übernommen hat, wird mit der Zeit zu ihrer wichtigsten Bezugsperson – aber auch diese Bindung ist fragil und letztlich nicht von Dauer. Und so erzählt Autorin Fernanda Trías nicht nur von einem ökologischen Desaster, sondern auch von einer Krise der zwischenmenschlichen Beziehungen:

„Ich glaube, wir erleben zurzeit eine Art Paradigmenwechsel. Auf jeden Fall ist das in meiner Heimat so. Frühere Beziehungsformen funktionieren nicht mehr, aber neue haben wir noch nicht gefunden. Also, wie wir in unserer heutigen Welt mit all ihren Herausforderungen Gemeinschaft schaffen. Es gibt Generationen-Konflikte, Konflikte zwischen Männern und Frauen. Auf dem Spiel stehen Wünsche, Bedürfnisse und viele Menschen verspüren eine emotionale Leere. Ja, auch das ist eine Art von Hunger.“

Eine Fleischpaste, die aussieht wie Rosa Schleim

Ob nun metaphorisch oder praktisch, der Hunger zieht sich wie eine Art Leitmotiv durch den Roman Rosa Schleim: Der Heißhunger von Mauro, und irgendwann auch der Hunger der Protagonistin, denn ihre Vorräte sind aufgebraucht und es gibt kaum noch Lebensmittelgeschäfte in der Geisterstadt. Auf der Suche nach etwas Essbarem irrt die Frau durch ausgestorbene Straßen und von ihren Bewohnern verlassene Wohnungen.

Zur Endzeitstimmung trägt bei, dass die moderne Fleischfabrik abgebrannt ist, die die gesamte Bevölkerung versorgte. Sie war das Vorzeigeobjekt der Regierung, und dort wurde das Produkt hergestellt, das dem Roman seinen Namen gegeben hat: Eine Fleischpaste, die in Bechern verkauft wird, aussieht wie Rosa Schleim und aus Tierresten hergestellt wird. Fast jeder konsumierte sie.

Der Gedanke drängt sich auf, ob nicht auch die Fabrik mit ihrem massiven Chemikalien-Einsatz zur Umweltkatastrophe beigetragen haben könnte. Fernanda Trías Roman verursacht Unbehagen. Und es ist klar, dass die Autorin genau das mit ihren eindringlichen, zutiefst deprimierenden Schilderungen erreichen wollte.

Die Lektüre ist vom Anfang bis zum Ende bedrückend. Wären da nicht die poetischen Einschübe zu Beginn jedes Kapitels, die wie ein frischer Lufthauch etwas Erleichterung bringen, dann wäre dieses düstere Zukunftsszenario wohl kaum auszuhalten.

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