Gespräch

„Es bleibt ja nur die unsichere Heimat Deutschland!“ – C. Bernd Sucher über sein Buch zum Jüdischen Leben

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INTERVIEW
Wilm Hüffer

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Polizeipräsenz heißt für Juden: „Wir sind gefährdet“

Seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist auch der Antisemitismus in Deutschland wieder vielerorts unüberhörbar zu Tage getreten. Für den Autor C. Bernd Sucher ergibt auch der daraus resultierende, verstärkte Polizeischutz ein Lebensgefühl der Unsicherheit:

„Juden in diesem Land ist praktisch durch diese Polizeipräsenz immer klar: Wir sind gefährdet, weil das Polizeiauto da steht, und das ist das Zeichen, dass man uns schützen muss. Und eigentlich will uns keiner.“

Sucher skizziert ein Bild des gegenwärtigen deutschen Judentums

In seinem neuen Buch begibt sich Sucher auf eine Spurensuche in der Vergangenheit wie in der Gegenwart und skizziert so ein Bild des gegenwärtigen deutschen Judentums: zwischen Erinnerungskultur und Identitätssuche, wieder aufkeimendem Antisemitismus und der Hoffnung auf die längst überfällige Akzeptanz durch die deutsche Gesellschaft.

Zu seinen Recherchen führte Sucher auch Gespräche mit Jüdinnen und Juden, die in Deutschland leben; darunter Charlotte Knobloch, Norbert Frei, Josef Schuster, Richard C. Schneider und Deborah Feldman.

Die Wunschvorstellung einer sicheren Heimat hat Sucher aufgegeben

Am Ende steht die Erkenntnis für Sucher, dass es für Juden noch immer keinen sicheren Hafen in der Welt gibt, wie er bei SWR2 konstatiert: „Wo sollte ich hin? Also ich könnte nach Frankreich, weil mein Französisch relativ gut ist. Aber da ist der Antisemitismus ja fast noch größer als in Deutschland. Und Israel ist jetzt gerade auch kein Zufluchtsort. Also bleibt ja nur die unsichere Heimat Deutschland.“

Die Wunschvorstellung einer sicheren Heimat habe er aufgegeben: „Ich werde es nicht mehr erleben. Und ich glaube, die Generation, die jetzt 20 ist, die werden es auch nicht erleben.“

Mehr Literatur zu jüdischem Leben in Deutschland

Rolle des Judentums in Deutschland Sachbuch „Judenfetisch“ von Deborah Feldman – Jüdische Identität in Deutschland instrumentalisiert

„Die Deutschen wollen, dass ich ihnen etwas zeige, was mich zum Juden macht“, sagt die Autorin Deborah Feldman. „Judenfetisch“ nennt sie das Phänomen in ihrem gleichnamigen Buch.

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Gespräch Angekommen! Jüdische Autor*innen schreiben in Deutschland

„1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – das wird dieses Jahr gefeiert. Denn ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 belegt, dass damals bereits Jüdinnen und Juden in Köln lebten. Trotz der schweren Pogrome zu Beginn des Ersten Kreuzzugs (1096), während der Pest (1349) und auch trotz des noch immer unfassbaren Holocaust im 20. Jahrhundert leben bis heute Jüdinnen und Juden in Deutschland. In den letzten Jahrzehnten nimmt ihre Zahl sogar stark zu: durch den Zuzug osteuropäischer Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und auch weil Berlin bei Israelis besonders beliebt ist. Viele Autorinnen und Autoren sind darunter, und sie bereichern das literarische Leben in Deutschland. Der Kritiker Carsten Hueck kennt die Details.
Carsten Hueck freut sich auf den Roman „Schicksal“ von Zeruya Shalev, der Ende Mai im Berlin-Verlag erscheint, und empfiehlt:
Chaim Grade: „Von Frauen und Rabbinern“
Aus dem Jiddischen von Susanne Klingenstein, Die Andere Bibliothek, 44 Euro.
Tomer Gardi: „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Droschl, 20 Euro.

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