Platz 8 (28 Punkte)

Jan Wagner: Steine & Erden

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AUTOR/IN
Carsten Otte

Von der Jury diskutiert auf Platz 2 der SWR Bestenliste Januar 2024

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Jan Wagners Gedichte beeindrucken: Man liest eine Zeile, eine Formulierung, eine Beschreibung, die man so noch nicht gehört hat – und hat trotzdem sofort ein Bild vor Augen, einen Blitz aus der Erinnerung; ganz gleich, ob sie sich aus selbst Gesehenem oder einst Gelesenem speist. Das ist auch – aber nicht nur – eine Generationenfrage: „erinnerung an die siebziger jahre“ (stets in Kleinschreibung) heißt ein Gedicht, das sofort einen Assoziationsraum öffnet, eine Stimmung hervorruft:

herbstlicht, in den wohnzimmerfenstern erst ein
glimmen, dann das lodern der tagesschau; der
saft der reifen pflaumen am baum begann in
wespen zu sprechen.

Und weiter:

wer ließ alles gleichzeitig in der welt sein?
aus dem nylonhimmel der wäscheleinen
flattertanzten strumpfhosen wie die haut des
bartholomäus.

Und noch weiter, und zwar wirklich darum, weil es so schön ist:

gräser tobten rund um mein rad und hinterm
hügel pochten, pochten die tennisplätze.
telefone waren vor allem stumm in
jener epoche,
blühten nacht für nacht auf den beistelltischen
kühl und weiß wie seerosen.

Als Jan Wagner im Jahr 2017 den Büchnerpreis erhielt, war der Aufruhr in der an Missgunst nicht armen deutschsprachigen Lyrikszene groß: Wagner gilt als ein wenig experimenteller, wenn nicht gar konservativer Lyriker. Ja, er arbeitet sich höchst produktiv an klassische Vorbilder heran. Wer ein Gedicht „panther“ nennt, der weiß, auf welches Terrain er sich begibt.

Das Gute daran ist eben nur: Wagner kann das alles, und seine Gedichte wirken angetrieben von Spracherforschungslust, von Neugier auf das nächste Wort, das nächste Bild. Seine Zeilen klingen, sind durchrhythmisiert und wirken doch leicht. 2001 veröffentlichte Wagner seine „Probebohrung im Himmel“. Nun ist er auf Erden angekommen, dort aber schwebt er eindeutig.

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Jan Wagner schreibt seit Jahrzehnten Lyrik und er gewinnt beinahe genauso lange schon Preise, darunter so bedeutende wie den Georg-Büchner-Preis. Vor 22 Jahren erschien sein erster Gedichtband, gerade hat der Hanser Verlag seinen jüngsten veröffentlicht, der den Titel „Steine & Erden“ trägt. Jan Wagner bleibt sich darin treu und lenkt wieder – wie schon so oft – den Blick auf die ganz kleinen, vielleicht sogar nebensächlichen Dinge des Lebens, und dennoch schafft er es, dass seine Gedichte ganz frisch klingen. Für Jan Wagner kann praktisch alles eine Inspiration zu einem Gedicht sein, sagt er. „Das Aufregende ist ja, dass Gedichte aus allem entstehen können und man nie weiß, was als nächstes einen einlädt, ein Gedicht zu schreiben. Es können Dinge sein, die man betrachtet, Wörter, Klänge oder auch Zitate, etwas Gelesenes. Es gibt viele Gedichte, die sich mit Verlust beschäftigen oder einem grundsätzlichen Wandel. Es sind also durchaus erdige, schwere, steinige Themen dabei, trotz der Nebensächlichkeiten oder der kleinen Dinge, die auch betrachtet werden."

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